ZEIT für die Schule
Schüler arbeitet mit einer Schleifmaschine
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ZEIT für die Schule: Warum gehören Themen wie Kredite oder Zinsen in den Unterricht?
Sven Winkler: Wenn wir es schaffen, Jugendlichen in der Schule ein grundlegendes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln, wenn sie verstehen, welche Auswirkungen beispielsweise die Inflation auf ihren Alltag hat, fördern wir ihre Mündigkeit. Sie handeln dann selbstbestimmter und eigenverantwortlicher. Etwa, indem sie Kostenabwägungen vornehmen und bewusste finanzielle Entscheidungen treffen.

Wie kann Schule hier unterstützen?
Sie kann Grundlagenwissen vermitteln. Aber neben der Theorie ist es auch wichtig, dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten, ihr Wissen praktisch anzuwenden und Erfahrungen zu sammeln.

Das findet in dieser Form bisher aber nur an berufsbildenden Schulen statt, oder?
Tatsächlich wird eine ökonomische Grundbildung bisher nur an berufsbildenden Schulen mit einem wirtschaftlichen Schwerpunkt vermittelt. In allgemeinbildenden Schulen ist das nicht unbedingt an der Tagesordnung. Und wenn doch, steht die Vermittlung von theoretischem Wissen im Fokus. Von den Schülerinnen und Schülern wird erwartet, dass sie sich praktische Kenntnisse selbst erarbeiten.

Zur Person:

Sven Winkler ist gelernter Kfz-Mechaniker. Nach Abbruch des gymnasialen Bildungsweges diente er eine Zeit lang bei der Bundeswehr und holte schließlich das Abitur nach. Daraufhin arbeitete er als Busfahrer und Reiseleiter, machte sich selbstständig und gründete zwei Reisebüros. Mit 37 Jahren brauchte er eine Veränderung und entschied sich für ein Lehramtsstudium in Wirtschaft und Technik. Inzwischen ist er seit zehn Jahren Schulleiter an der Oberschule Osternburg in Oldenburg. Daneben engagiert er sich ehrenamtlich im Schulleitungsverband Niedersachsen (SLVN) und ist Vorsitzender des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschland (ASD). Seine Arbeitsschwerpunkte sind dort ökonomische Bildung und Berufsorientierung.

Sven Winkler
© OBS Osternburg

Wie wichtig ist ökonomische Bildung für die Chancengerechtigkeit?
Sehr wichtig. Lassen Sie es uns mal von der anderen Seite betrachten: Fehlendes Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge und Prozesse erschwert es Menschen, am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Ohne finanzielle Kompetenzen können sie beispielsweise Zinsen oder Kreditverträge nicht vernünftig einschätzen und treffen möglicherweise falsche Entscheidungen. Diese Entscheidungen können langfristige Folgen haben – etwa Zahlungsunfähigkeit durch Knebelverträge – und in eine frühe Armut führen.

Wie können Schulen entsprechende Kompetenzen fördern?
Sie können Schülerinnen und Schülern zeigen, wie sie die eigenen Finanzen verwalten. Was habe ich zur Verfügung, was kann ich eigentlich ausgeben? Wenn Schulen junge Menschen besser für Alltagsaufgaben rüsten, verringern sie auch Ungleichheiten.

Handwerkliches Geschick gefragt: Möbel aus der Werkstatt der Oberschule Osternburg.
© OBS Osternburg Handwerkliches Geschick gefragt: Möbel aus der Werkstatt der Oberschule Osternburg.

Worin bestehen diese Ungleichheiten?
Wir haben an unserer Schule einen großen Anteil von Schülerinnen und Schülern aus sozioökonomisch schwierigen Verhältnissen. Deren Eltern und Großeltern sind ökonomisch oft nur wenig vorgebildet, sodass hier über Generationen hinweg Wissenslücken entstehen. Die zu schließen, sehe ich als wichtige gesellschaftliche Aufgabe von Schule. Außerdem finde ich es wichtig, Schülerinnen und Schülern unternehmerisches Denken beizubringen. Mit einer vernünftigen ökonomischen Grundbildung können wir nicht nur ihr Interesse für wirtschaftliche Themen wecken, sondern vielleicht auch Karrierewege aufzeigen oder zumindest anbahnen. Das erhöht auch ihr Gefühl, gesehen zu werden, und es fördert ihre Selbstwirksamkeit.

Trotzdem herrscht unter Lehrkräften immer noch Unstimmigkeit darüber, ob und inwiefern ökonomische Bildung Teil des Lehrplans sein sollte. Woher kommt diese Skepsis?
Es stimmt, diese Vorbehalte gibt es. Ich habe selbst Wirtschaft studiert, bin von Haus aus Kaufmann. Wirtschaftswissenschaften sind Teil der Sozialwissenschaften, es geht immer auch um menschliche Interaktion. Wirtschaft ist daher nie frei von Ideologisierung, da gesellschaftliche Strukturen von verschiedenen Werten und Überzeugungen geprägt sind. Und genau das ist es, was viele Kolleginnen und Kollegen stört. Sie befürchten, dass das Neutralitätsgebot an Schulen nicht eingehalten werden kann. Wenn ihr Lehrplan beispielsweise hauptsächlich marktwirtschaftliche Prinzipien betont, könnte das als neoliberal wahrgenommen werden. Und das geht natürlich nicht in einer pluralistischen Gesellschaft wie unserer. Schule muss daher unbedingt möglichst viele verschiedene Perspektiven beleuchten.

Welche Gefahr birgt eine zu starke Betonung der ökonomischen Bildung im Lehrplan?
Die Unionsparteien verfolgen einen anderen Weg als die FDP, die Grünen oder die SPD. Wenn also Arbeitsblätter in der Schule parteipolitisch gefärbt wären, hätten Lehrkräfte das Problem, sich positionieren zu müssen. Und das sollte ja idealerweise nicht passieren, vielmehr sollten Lehrkäfte möglichst neutral sein. Die zweite Herausforderung ist, dass viele Kolleginnen und Kollegen keine Fachkenntnissen und wirtschaftsdidaktische Grundlagen haben. Das ist für Lehrkräfte schwierig, weil man ja von ihnen erwartet, dass sie sich in dem Bereich auskennen, den sie vermitteln.

Schülerfirmen spiegeln die Abläufe in Unternehmen in vereinfachter Form wider.
© OBS Osternburg Schülerfirmen spiegeln die Abläufe in Unternehmen in vereinfachter Form wider.

Was können sich Wirtschaftslehrkräfte von Politiklehrkräften abgucken? Ist es im Fach Wirtschaft nicht ebenfalls möglich, grundlegendes Wissen zu vermitteln, ohne zu ideologisieren?
Selbstverständlich. Wirtschaftliche Prinzipien wie zum Beispiel Angebot und Nachfrage, das Konzept der Inflation, die Funktionsweise von Geld und Banken oder die Aufstellung eines einfachen Haushaltsplans sind universelle Mechanismen, die unabhängig von politischer oder ideologischer Auslegung gelten. Aber auch hier ist es wichtig, über die nötige Fachexpertise zu verfügen. Ein hoher praktischer Anteil im Unterricht kann ebenfalls helfen, bestimmte Prozesse zu verstehen und eine „Überakademisierung“ zu vermeiden. Wenn eine Schülerfirma wegen Missmanagements keine Überschüsse generiert hat, müssen die Schülerinnen und Schüler die Ziele neu definieren.

Sie haben Defizite bei Lehrkräften erwähnt. Wie kann man sie beim Erwerben wirtschaftsdidaktischer Grundlagen unterstützen?
Indem sie an Workshops und Fortbildungen teilnehmen. Schulen können aber auch mit externen Partnern kooperieren und sich das Wissen ins Haus holen. Etwa in Form eines Schulbesuches von Finanzexpertinnen und -experten oder durch die Kooperation mit Unternehmen, die sich auf die Erstellung von Lehrmaterialien spezialisiert haben.

Haben wir da nicht wieder das Problem mit der Neutralität?
Ja natürlich – hier muss man als Lehrkraft wieder aufpassen, wenn ich mir eine Versicherung in den Unterricht einlade. Daneben ist der Aspekt Verbraucherschutz relevant, den könnte man über die Zusammenarbeit mit Verbraucherverbänden beleuchten. Sie sehen, hier ist wieder Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge gefragt, das sich das Lehrpersonal aneignen muss.

Laut einer OECD-Studie wünschen sich junge Menschen, besser über Themen wie Altersvorsorge oder Anlagemöglichkeiten informiert zu werden. Können Sie das bestätigen?
Ich kann den Wunsch sehr gut nachvollziehen. An meiner Schule sehe ich dieses Interesse allerdings nicht. Vermutlich, weil bestimmte Kompetenzen grundsätzlich fehlen. Wenn man nicht versteht, worüber geredet wird, hat man auch keine Fragen. Hier wird noch mal deutlich, wie wichtig eine ökonomische Grundbildung ist, um überhaupt Interesse zu wecken. Idealerweise startet man damit in der Grundschule, zum Beispiel mit dem Thema Taschengeld. Und dann baut man das Wissen sukzessive über die Jahre auf. Ein anderer Punkt ist, dass bestimmte Themen junge Menschen noch gar nicht direkt betreffen. Altersvorsorge zum Beispiel. Die sollten aber auch schon in der Schule behandelt werden, um Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, ihre finanzielle Zukunft eigenverantwortlich zu planen.

Die gesellschaftliche Teilhabe beginnt lange vor dem Schulabschluss. Wie kann man sie im Kontext einer ökonomischen Grundbildung fördern?
Indem man viel in der Praxis ausprobiert und verschiedene Bedarfe identifiziert. Warum nicht im späteren Berufsleben eine Finanzberatung auf Kurdisch anbieten? An meiner Schule haben 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunft. Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz sind ein großer Vorteil im Wirtschaftsleben. Besonders erfolgreich ist bei uns das Konzept von Schülerfirmen. Zwei Schülerfirmen stellen einfache Möbel her, eine andere wartet und upcycelt Fahrräder, eine weitere stellt Accessoires und Schmuck her. Außerdem haben wir eine Schülerfirma, die einen Schulkiosk und einen Snackautomaten betreibt. Bei allen geht es um ein gemeinsames Ziel, um Zusammenarbeit und natürlich auch um eine ordnungsgemäße Buchhaltung. Wenn etwas schiefläuft, ist das nicht so schlimm. Dann überlegt man gemeinsam, wo die Fehler liegen und was in Zukunft besser laufen muss. Das ist für mich ein guter und praxisnaher Weg, um junge Menschen auf das Leben vorzubereiten.

In manchen Bundesländern findet für Fächer wie Wirtschaft oder Arbeitslehre so gut wie keine Lehrkräfteausbildung statt. Das hat eine Studie des Instituts für Ökonomische Bildung (IÖB) herausgefunden. Davon betroffen sind insbesondere Studiengänge, die auf sozialwissenschaftliche Integrationsfächer (Sozialwissenschaften) oder Kombinationsfächer (Politik-Wirtschaft) vorbereiten sollen. Nur in Studiengängen, die sich auf ein eigenständiges Fach Wirtschaft beziehen, wird der Anteil des jeweiligen Studienfaches auch weitestgehend für wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftsdidaktische Veranstaltungen genutzt. Eine weitere Herausforderung identifiziert die Studie im Fortbildungsbereich für Wirtschaftslehrkräfte: 60 Prozent der Weiterbildungen, die Lehrkräften für die Ankerfächer der ökonomischen Bildung auf den offiziellen Portalen der Bundesländer angeboten werden, fehlt der inhaltliche Bezug zur ökomischen Bildung.